©DKJS/Franziska Maerkl

„Durch den Sport werde ich selbstbewusster, das hilft mir auch bei der Jobsuche.“

Reportage im Bündnis Ingolstadt am 20. September 2023

Beim wöchentlichen Angebot vom Bündnis in Ingolstadt kommen regelmäßig Frauen und Mütter zusammen, um gemeinsam Sport zu machen und sich beim anschließenden Frauencafé auszutauschen.

Über den Sport, in lockerer Atmosphäre, Kontakte zu knüpfen. Sich auszutauschen, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen. Beim Bündnis fit nach vorn in Ingolstadt geht es um viel mehr als nur um Sport.

Mittwochnachmittag, ein heller, einladender Raum zwischen Kindergarten und Wohnheim im Zentrum von Ingolstadt – und mittendrin Maria Goryushko. Freudestrahlend empfängt sie die Frauen, die nach und nach zum gemeinsamen Fitnesstraining und zum Plaudern im anschließenden Frauencafé eintrudeln. Jede wird herzlich begrüßt, alle scheinen sich gut zu kennen.

Inna freut sie sich besonders auf die heutige Sportstunde, weil sie im Urlaub war und wohl, so behauptet sie, ein wenig zugenommen hat. So fröhlich und voller Freude sie zunächst noch ist, so schnell kippt die Stimmung, als sie erzählt, wo sie ihren Urlaub verbracht hat. Sehr leise sagt sie: „Zuhause. Bei meinem Mann.“ Zuhause, das ist in der Ukraine.

Offen für Frauen jeder Herkunft

Mit dem Projekt „Lebenswirklichkeit in Bayern“ begleitet IN VIA Bayern bleibeberechtigte Frauen auf ihrem Weg in ein selbstständiges Leben und fördert ihre soziale und berufliche Integration. Ein idealer Partner für das Programm fit nach vorn der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, um über den Sport niederschwellige Angebote für Frauen und Kinder mit Fluchtgeschichte zu schaffen.

Gelebte Integration

Beim Angebot fit nach vorn geht es um viel mehr als nur um Sport. Neben der Sportstunde und dem Frauencafé leitet Maria ein weiteres Treffen pro Woche. „Wir kochen zusammen, sind aktiv in der Stadt unterwegs, zum Beispiel bei einer Stadtführung, gehen ins Kino oder ins Museum“, sagt sie und betont, dass die Angebote für Frauen jeder Herkunft offen sind. „Es ist sehr gut hier, sehr, sehr gut“, bestätigt Valentina und zeigt überdeutlich „Daumen hoch“. Dankbarkeit und Freude sind aus allen Gesichtern abzulesen. Diese Frauen wollen sich integrieren. Sie wollen die Sprache lernen, sie wollen arbeiten, wollen leben.

Hand in Hand mit den Bündnispartnern

Alexandra Vey vom FC Ingolstadt, einem weiteren Partner, koordiniert das Ingolstädter Bündnis fit nach vorn. Um das Angebot überhaupt realisieren zu können, fehlten die passenden Räumlichkeiten. „Und Leute“, ergänzt die Projektverantwortliche. Sie ist mit ihrer Anfrage auf IN VIA zugegangen, Maria hat sich unmittelbar auf die Suche gemacht. „Ich habe Räume gesucht und gefunden, sodass wir innerhalb von zwei Wochen starten konnten“, erzählt Allrounderin Maria. Hier haben sich Macherinnen gefunden! „Glück“ nennt es Alexandra Vey. Gute Fügung, ein wunderbares Zusammenspiel und motivierte Mitarbeiterinnen machen das Bündnis in Ingolstadt so besonders.

fit nach vorn – so kann Integration funktionieren

Ludmilla kommt herein und verkündet fröhlich: „Ich liebe Sport.“ Die 35-Jährige hat in ihrer Heimat nach ihrem Wirtschaftsstudium bei einem internationalen Konzern gearbeitet und hat die Aussicht, von hier aus wieder einzusteigen. Dafür lernt sie fleißig Deutsch, während sie ihre beiden Kinder im Kindergarten und in der Grundschule gut aufgehoben weiß. Dort lernen sie die Sprache spielerisch, sind sehr gut integriert – und weit weg davon, was in ihrer Heimat passiert.

Von 25 bis 69 – Sport kennt keine Altersgrenzen

Die mit 25 Jahren Jüngste in der Runde, Maria, steht ebenfalls im Sportoutfit bereit. Die Tochter der „älteren“ Ludmilla freut sich darauf, mit mir zu sprechen. Sie hat bereits die B2 Deutschprüfung bestanden und spricht nach eineinhalb Jahren in Deutschland die neue Sprache bereits sehr gut.  Maria ist studierte Agrar-Meteorologin, findet aber hier in Deutschland in diesem Beruf keine passende Stelle. „Die Sportstunde ist mir wichtig“, betont Maria, „hier kann ich alles vergessen. Negative Gedanken bleiben draußen vor der Tür“. Und tatsächlich lernen die Frauen ganz nebenbei viele Begriffe: „Beine hoch, Arme hoch“, sagt Valentina und macht die Übungen gleich mal vor.

Beim Sport die Sorgen vergessen

Inzwischen sind die Tische zur Seite geschoben, alle packen mit an. Zusammengerollte Gymnastikmatten stehen bereit, bis die Trainerin kommt übernimmt kurzerhand Projektleiterin Maria. Die Frauen springen, lachen und singen lautstark,  was der Hampelmann so alles kann. Die Dynamik im Raum ist spürbar, jetzt tritt Ludmillas Tochter Maria nach vorne und übernimmt das Zepter. „Knie hoch, Knie an Arm, Hände drehen, Arme hoch“, so geht es eine Weile. Alle zählen bei den Übungen laut mit. Da kommt dann zwar mal die 6 gleich nach der 4, was für etliche Lacher sorgt. „Macht nichts, mach einfach weiter“, motiviert Maria. Plötzlich klatschen und jubeln alle, als eine sportliche junge Frau den Raum betritt – Lesia Kravtsova, die Fitnesstrainerin, legt sofort los. Sie scheint die verspäteten Minuten wieder reinholen zu wollen.

Gekommen um zu helfen

Während die Frauen weiter beim Fitnesstraining schwitzen, schildert Maria ihren Weg zum Bündnis fit nach vorn. Als Spätaussiedlerin kam die gebürtige Russin vor acht Jahren mit ihrem Mann und ihren drei Kindern nach Deutschland. In ihrer Heimat hatte sie Tourismusmanagement studiert, sich hier selbstständig gemacht, dann aber einen anderen Weg eingeschlagen: von der Ausbildung zur Kinderpflegerin über die pädagogische Fachkraft bis zur Erzieherin. Als die ersten geflüchteten Frauen und Kinder aus der Ukraine in der Notunterkunft in Ingolstadt eintrafen, war Maria sofort da. Hat übersetzt und unterstützt, getröstet und organisiert.

„Sprache ist der Schlüssel“

Die Tür geht auf und Larisa, 69, in ihrer Heimat Kinderaugenärztin, kommt herein. „Ich vermisse meine Arbeit,“ sagt sie traurig. Da sie hier als Rentnerin gilt, wird sie nicht mehr vom Jobcenter vermittelt und hat deshalb keinen Anspruch auf einen Deutschkurs. „Sprache ist der Schlüssel“, sagt die engagierte Ärztin. Sie nutzt die Zeit und nimmt online an Kongressen und Symposien teil. Larisas Tochter ist vor zwei Jahren mit ihren Kindern nach Deutschland gekommen. „Hier habe ich drei Enkelkinder. Das ist mein Leben.“ Leise fügt sie hinzu: „Ich träume noch, zur Ukraine zurückzukehren und dort dann wieder zu arbeiten. Aber niemand kann sagen, wann wir wieder zurückkönnen.“

Erst Schwitzen, dann miteinander reden

Die Sportstunde ist zu Ende, die Frauen rücken Tische und Stühle für eine gemütliche Runde in die Mitte des Raumes. Lesia erzählt, dass das Workout für sie mehr ist als nur ein Hobby: „Ich bin Fitnesstrainerin von Beruf“. Sie hat hier zur Probe in einem Sportstudio gearbeitet, bisher aber keine Anstellung gefunden. „Ich muss Deutsch lernen. Ich brauche ein B1-Sprachniveau, habe aber erst A2.“ Die Migrationsberaterin habe ihr empfohlen, eine dreijährige Ausbildung zur Masseurin mit anschließendem Praktikumsjahr zu machen.

Sprachniveau B2 – hohe Hürde für die Frauen

Deutsch lernen lautet das oberste Ziel für die Frauen, die alle gerne wieder in ihrem Beruf arbeiten möchten. Wie Marias Mutter Ludmilla. Die Krankenschwester mit jahrelanger Berufserfahrung war zum Probearbeiten in einer Klinik, aber ihre Sprachkenntnisse, A1, hätten nicht ausgereicht für eine Anstellung. Um sich überhaupt auf eine freie Stelle bewerben zu können, wird in der Regel ein Sprachniveau von mindestens B2 verlangt.

„Durch den Sport werde ich selbstbewusster.“

Genau hierin liegen die Stärken von fit nach vorn: „Wir sind zwar keine Sprachschule, aber wir können hier in lockerer Runde die Alltagssprache üben“, erklärt Projektleiterin Maria. „Für mich persönlich ist der Sport eine gute Möglichkeit, mich abzulenken von der Situation in meiner Heimat“, sagt Natalia, „und um eine gute Figur zu behalten.“ Auch Inna schätzt das Angebot: „Durch den Sport werde ich selbstbewusster, das hilft mir auch bei der Jobsuche.“ Valentina fügt hinzu: „Für uns ältere Frauen ist es wichtig, gesund und beweglich zu bleiben.“ Während die 64-Jährige in der Ukraine Volleyball und Tennis gespielt hat, nutzt sie in Ingolstadt das Angebot fit nach vorn und geht regelmäßig schwimmen. Die diplomierte Ingenieurin würde gerne arbeiten, gilt jedoch hier als Rentnerin.

„Sport macht Spaß“, bringt es Natalia auf den Punkt und fügt lächelnd hinzu: „Nach der Sportstunde ist die Laune besser, es setzt Glückshormone frei. Wir sind sehr dankbar für dieses Projekt.“ Beim abschließenden Gruppenfoto im Garten erschallt helles Gelächter. „Lachen ist wichtig“, raunt es aus der fröhlichen Frauengruppe. Und dann ertönt ein letztes Mal für heute: „Arme hoch.“

Text: Nicole Kraß

Fotos: Franziska Maerkl