Beratung, Sport und Gemeinschaft für junge Geflüchtete
Reportage im Bündnis Rostock am 20. September 2023
Es ist vielleicht einer der letzten warmen Sommertage des Jahres in Rostock, als die Kinder und Jugendlichen um die Ecke biegen. Ihr Weg führt sie auf den Fußballplatz der Werner-Lindemann-Grundschule in der Rostocker Kröpeliner-Tor-Vorstadt. Sie unterhalten sich auf Deutsch, in Arabisch, in Kurdisch und in Englisch. Sie kommen aus der Asylbewerber:innen Unterkunft in der Satower Straße, die seit 2000 vom Ökohaus e.V. in der Rostocker Südstadt betrieben wird. Während sie zum Platz laufen, schieben sie sich aus kleinen Packungen Instantnudeln in den Mund und lachen. Begleitet werden sie von Nina, einer jungen Frau, die immer wieder von einem zum anderen schaut. „Wir haben unterwegs einen verloren. Samir ist noch nicht da. Der musste nochmal zurück, irgendwas mit seiner Familie“, sagt sie zu Daniel Netztband, dem Streetworker von Soziale Bildung e.V. (kurz: Sobi e.V.). Er steht schon auf dem umzäunten Fußballplatz der Schule, der mit ziegelrotem Kunststoffbelag ausgelegt ist. Nina und Daniel sind Begleiter:innen des Programms fit nach vorn, das darauf ausgerichtet ist, jungen Geflüchteten Sport, Bildung und Beratung anzubieten. Gefördert wird das Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, der Beauftragten der Bundesregierung für Antirassismus. Daniel schaut sich um, legt Fußbälle und gelbe Leibchen auf den Platz. Währenddessen laufen die jungen Menschen zu den Zuschauerbänken und legen ihre Sachen ab. Sie lachen und unterhalten sich. Dann kommt auch Samir um die Ecke. Er redet auf Arabisch mit ein paar Jungen und macht nebenbei Schattenboxen, er scheint der älteste von allen Anwesenden zu sein.
Integration passiert Schritt für Schritt
Einer der fünfzehn jungen Menschen will endlich Fußball spielen und kickt einen Ball gegen eine Wand, dann gegen den Metallzaun und zuletzt ins Leere. Auch die anderen sind ungeduldig und schnappen sich die restlichen Bälle, die Claudia Lübcke (Offene Kinder- und Jugendarbeit, Sobi e.V.) mitgebracht hat. Dann laufen sie auf den Platz und spielen sich den Ball immer wieder zu. Es knallt, wenn das Leder den Zaun trifft und tönt in den Ohren. Hier passiert Fußball mit Kindern und Jugendlichen zwischen zehn und zwanzig Jahren. Sie sind Geschwister, Cousins oder Freund:innen. Sie spielen Fußball oder sitzen am Rand und unterhalten sich miteinander oder mit dem Team des fit nach vorn Bündnis Rostock. „Integration passiert Schritt für Schritt und am besten Nebenbei im Spiel“, erklärt Claudia, während sie auf einer Zuschauerbank sitzt und beobachtet, wie Daniel die Kinder und Jugendlichen darum bittet, die Banner aufzuhängen. Die Passanten sollen sehen, um was es hier geht. Claudia erzählt, dass sie die Interessierten meist am Morgen in den Rostocker Unterkünften abfragen und dann nachmittags abholen. Für die jungen Geflüchteten seien das zum Teil lange Wege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, die sie selbst zahlen müssen. Dann soll es losgehen. Die Spielenden werden gefragt, ob sie passende Schuhe dabei haben und werden bei Bedarf vom fit nach vorn-Team versorgt. Die Kapitäne Samir und Nasran beginnen ihre Teams aus mittlerweile siebzehn Personen zu wählen. Mit dabei sind ein Vater und sein Sohn aus der Nachbarschaft, die spontan mitspielen. Der Vater im Tor, der Sohn deckt den jüngsten Spieler aus der gegnerischen Mannschaft. Die Sonne scheint auf den Platz und der Ball fliegt nicht nur einmal über den Zaun. Voller Enthusiasmus rennen die beiden Jüngsten immer wieder los, um den Ball zu holen. Der Ersatz ist dann schon längst wieder im Spiel und fliegt von links nach rechts. Die Stimmung ist locker und fröhlich.
Samir: ein junger Mann auf dem Weg nach Berlin
Nach dreißig Minuten ist Pause, die auf dem Schulhof und den Sitzbänken verbracht wird. Drei Jungs fangen an Karten zu spielen, zwei Mädchen und ein Junge setzen sich etwas abseits auf eine Bank und reden. Der Kleinste läuft zu einer Drehscheibe und beginnt auf ihr zu laufen. Alles untermalt von Musik aus den Smartphones der Jugendlichen. „Das ist Moein“, erzählt Samir. Es sei alte persische Musik. Samir steht zu diesem Zeitpunkt kurz vor seiner A1 Prüfung in Deutsch. „Wir müssen einen Brief mit dreißig Worten schreiben“, erzählt er aufgeregt. Er ist mit seiner Familie von Afghanistan über Griechenland nach Deutschland gekommen. Während er redet, spielen die anderen schon wieder. „Das ist Tim“, ruft Daniel über den Platz, während ein neuer Spieler aus der Umgebung zu den Jugendlichen aus der Satower Straße dazu stößt. Durch ihn nimmt das Spiel noch etwas Fahrt auf. Während Samir die Szenerie beobachtet, erzählt er, dass er eigentlich bei der Herrenmannschaft mitspielen wollte, aber kein Platz frei war, also ist er mit Anfang zwanzig jetzt hier und spielt aus Spaß mit, bis ein Platz für ihn frei wird. Später erzählt Daniel, dass es darum geht, die jungen Geflüchteten mit verschiedenen Orten in der Stadt vertraut zu machen, sie in Vereine zu bringen beziehungsweise zu schauen, wo ihr Bedarf liegt und sie dadurch zu fördern. Aus diesem Grund gibt es auch das Beratungscafé von Sobi e.V., das ein offener Anlaufpunkt für alle Geflüchteten ist. Dort bekommen sie Rat und Unterstützung, beispielsweise bei Behördengängen.
Samir selbst will bald eine Ehefrau finden und eine Familie gründen, erzählt er. Wahrscheinlich geht er nach Berlin und arbeitet dort für seinen Onkel im afghanischen Restaurant. Dann läuft er wieder auf den Platz und spielt weiter. „Das sind andere Lebenssituationen, als wir sie in der Regel kennen“, erklären Ira Leithoff (Sobi, Koordination Team soziale Arbeit) und Claudia. „Die Jugendlichen kommen zum Teil aus Großfamilien, haben Angst, abgeschoben zu werden oder müssen ihre Familie auch erst einmal versorgen. Da spielt eine Ausbildung nicht immer die erste Rolle. Es muss schnell Geld her.“ Mittlerweile steht ein Mädchen im Tor und wirft gerade den Ball ein. Alle laufen los und spielen, bis ein Schrei ertönt. Samir wurde von Nina zu Fall gebracht. Eine Traube bildet sich um den jungen Mann, der schon bald humpelnd vom Platz läuft. Ein paar weitere Jungen folgen ihm und beginnen in ihrer Muttersprache zu scherzen. „Es gibt auch genug, die eine Ausbildung anstreben. Es hängt letztlich von den Rahmenbedingungen ab. Zudem haben wir den Eindruck, dass vor allem Mädchen stärker unterstützt werden sollten. Klar können die beim Fußball auch teilnehmen, aber manchmal brauchen sie auch einfach Orte nur für sich.“
Gegen halb acht ist das Spiel vorbei und alle packen unter Daniels Anleitung zusammen. „Es gibt Tage, da spielen einige bis 23 Uhr.“ Heute ist das nicht der Fall. Der Herbst hat Einzug gehalten und es wird früher dunkel. Wie es im Winter mit dem Fußball weitergeht, ist noch offen. „In Rostock ist es schwierig, eine freie Hallenzeit zu bekommen“, erklärt Daniel und räumt den Rest des Trainingsmaterials ein, während Nina zusammen mit den Jugendlichen den Platz verlässt. „Bis zum nächsten Mal“, ruft Daniel ihnen noch hinterher und sie winken, bevor sie wieder hinter der Ecke verschwinden.
Text: Antje Benda
Fotos: Stefanie Auer